Loyalität und Scham – zwei ganz wesentliche Faktoren, die Sie bitte unbedingt – wenn Sie den kleinen betroffenen Kindern in Alkoholikerfamilien helfen wollen, sie unterstützen wollen – beachten sollten.
Kinder lieben ihre Eltern. Und. Kinder wollen ihre Eltern lieben dürfen. Auch in oftmals sehr belasteten Familien. Und sie sollen dies auch tun dürfen. Sie werden voraussichtlich wenig bis nichts erreichen, wenn Sie die Eltern eines betroffenen Kindes diesem gegenüber verurteilen und in schlechtes Licht rücken. Dadurch wird sich ein betroffenes Kind wahrscheinlich noch mehr zurückzuziehen und verschließen, denn trotz oftmals extrem belastender Situationen sind betroffene Kinder ihren Eltern gegenüber extrem loyal und werden diese Außenstehenden gegenüber vor allem in Bedrängnis immer wieder eher in Schutz nehmen, als ihnen irgendwelche Schuld zuzuweisen.
Scham ist ein ganz wesentliches Thema bei den kleinen Kindern. Es ist wenig hilfreich (ganz im Gegenteil, so etwas kann fatale Folgen haben), wenn zum Beispiel eine Lehrperson ein Kind vor versammelter Klasse auf die Alkoholabhängigkeit des Vaters/der Mutter anspricht. Oder wenn etwa Personen im betroffenen Familien-/Freundeskreis ein kleines Kind, das seit Jahren nachts ins Bett macht, darauf ansprechen und ihm sagen, dass es dafür nun wirklich schon zu groß sei. Mit solchen „Versuchen“ erreichen Sie mit großer Wahrscheinlichkeit, dass das Kind erneut und/oder weiterhin die Schuld für die Auswirkungen solcher Familiensituationen bei sich selbst sucht und es wird sich noch mehr verschließen.
Falls Sie unsicher sind, wie Sie mit so einer Situation umgehen sollen, wenden Sie sich an Hausärzte, Psychotherapeuten, Psychologen, Personen in sozialen Einrichtungen, die mit kleinen Kindern arbeiten etc. Fachlich geschultes Personal kann in solchen Fällen manchmal sehr hilfreiche Tipps geben. Gerne können Sie sich auch an mich wenden (kinder@fingerzeig.at) – als ehemals Betroffene werde ich bestmöglich versuchen, Sie zu unterstützen.
Das „Einmischen“
Es ist manchmal unnötig, sich direkt in das Familiensystem Alkohol „einzumischen“. Es bedarf viel Vertrauen, dieses Tabuthema anzusprechen. In Bezug auf ein betroffenes Kind ist es sogar ein doppeltes Tabuthema, denn neben der Sucht selbst ist es in solchen Familien oberstes Gebot, dass nichts nach außen dringen darf. Machen Sie sich einfach bewusst, dass Sie so einem Kind manchmal schon damit unendlich helfen können, indem Sie einfach da sind, einen liebevollen, wohlwollenden und stabilen Umgang pflegen, das Kind ernst nehmen und ihm das ehrliche Gefühl vermitteln, dass es bei Ihnen gut aufgehoben und sicher ist. So wird es mit der Zeit immer mehr Vertrauen zu Ihnen aufbauen können.
Das Kind sein dürfen
Wenn Sie ein betroffenes Kind unterstützen wollen und die Möglichkeit haben, seien Sie ganz einfach da. „Sehen“ Sie dieses Kind, schenken Sie ihm Ihre Zeit und Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Wohlwollen. In der suchtbelasteten Familie wird es von seinen Eltern häufig „übersehen“, da der abhängige Elternteil mit seiner Sucht und der co-abhängige Elternteil damit beschäftigt ist, das gesamte Familiensystem irgendwie am Laufen zu halten. Lassen Sie so ein Kind einfach Kind sein, lassen Sie es ausgelassen sein, lassen Sie es spielen und geben Sie ihm dabei das Gefühl von Vertrauen, Sicherheit und Entspannung. Bedenken Sie jedoch, dass es für ein betroffenes Kind sehr wichtig ist, dass Sie eine wirklich beständige Bezugsperson sind. Denn eine intensive und nur kurz andauernde Aufmerksamkeit kann bei abrupter Beendigung mehr Schaden als Hilfe sein.
Brücken bauen
Sie können den betroffenen Kindern auch durch „Umwege“ über Situationen innerhalb der Alkoholikerfamilien aufklären. Etwa mit Hilfe von Kinderbüchern, aus denen Sie vorlesen oder aber in Kindergärten/Schulen etc. kann/könnte hier durch kindgerechte Vorträge viel bewirkt werden. Denn auch durch eine allgemeine Aufklärung über die Situationen in Alkoholikerfamilien kann sich ein betroffenes Kind wiederfinden und findet vielleicht dadurch den Mut, sich zu öffnen. Durch solche Brücken vermeiden Sie in jedem Fall, ein Kind bloßzustellen oder zu beschämen. Tipps für Bücher finden Sie hier: >Die Bücher
Das Ansprechen der Suchterkrankung
Um die Suchterkrankung ansprechen zu können, sollten Sie ein sehr gutes Vertrauensverhältnis zum betroffenen Kind haben. Manchmal muss man auch abwarten, bis es von sich aus auf Sie zukommt, denn es erfordert extrem viel Mut, etwas an- und auszusprechen. Kinder sind ihren Eltern gegenüber sehrloyal, egal, wie sehr sie selber leiden müssen. Ein erzwungenes Sprechen müssen könnte ein betroffenes Kind in einen tiefen Loyalitätskonflikt stürzen, da es noch dazu Familiengesetz ist, über Vorfälle innerhalb des Familiensystems nichts nach außen dringen zu lassen. Wenn Sie dieses wohlgehütete Familiengeheimnis der Alkoholsucht einfach ansprechen, kann es sein, dass das Kind aus Loyalität zu den Eltern leugnet oder auch den Kontakt von sich aus zu Ihnen abbricht. Seien Sie bitte geduldig, seien Sie beständig, seien Sie vertrauensvoll. Seien Sie liebevoll. Wenn sich ein betroffenes Kind bei Ihnen sicher aufgehoben und verstanden fühlt, wird es sich Ihnen gegenüber schrittweise öffnen können. Sie können dem Kind immer wieder folgende wichtige Informationen geben:
- ich bin für dich da
- ich kümmere mich um dich
- du darfst deine Kontrolle abgeben
- du brauchst keine Angst zu haben
- du brauchst dich für nichts schämen
- du darfst mir von deinen Ängsten und Sorgen erzählen
- du darfst jetzt Kind sein
- du darfst dein „Kind sein“ ausleben
- du bist nicht mehr allein
- du bist wundervoll, wie du bist und du darfst dich selber lieb haben
Wenn ein betroffenes Kind Ihnen gegenüber aus dem erkrankten Familiensystem erzählt, sollten Sie versuchen, dem Kind behutsam und immer wieder (denn nur so kann ein Kind dies auch verinnerlichen und beginnen, tatsächlich daran zu glauben) zu erklären:
- dass es selbst völlig in Ordnung ist
- dass es völlig unschuldig ist an der familiären Situation
- dass es durch sein Verhalten nichts besser oder schlechter machen kann
- dass es sich für nichts schämen muss
- dass es über seine Ängste und Sorgen reden darf und dass dies keinesfalls ein Verrat am alkoholbelasteten Elternteil ist
- dass ihr/sein Elternteil große Probleme mit Alkohol hat und dies eine Krankheit ist
- dass häufig extreme Stimmungsschwankungen der Eltern Teil der Krankheit sind
- dass diese Situation etwas ist, welches die Erwachsenen nur selber lösen können
- dass es seine einzige Aufgabe ist, Kind zu sein, sein Leben zu leben und nur für sich selber verantwortlich ist
Es gibt Situationen, in denen Gefahr in Verzug ist. Besonders wenn Gewalt, sexueller Missbrauch, Selbstmord oder Mord Thema werden (könnten). Oder aber, wenn zum Beispiel bereits bekannt ist, dass es sich um ein betroffenes kleines Kind handelt und es von sich aus mitteilt, dass es zum Beispiel nicht mehr nach Hause will. Hier ist absolut rasches Handeln gefordert. In solchen Fällen wenden Sie sich bitte unbedingt an geschulte Personen oder verständigen Sie die Polizei – bringen Sie sich keinesfalls selbst in (Lebens)gefahr – so etwas würde im Endeffekt für keinen hilfreich sein.
Es gibt bei den kleinen Kindern nur eines, was man wirklich völlig falsch machen kann: gar nichts zu machen.
Bitte. Helfen. Sie. Mit. Es geht auch Sie etwas an. Sie können so viel Gutes für die kleinen betroffenen Kinder bewirken.
Foto: © Bess Hamiti/pixabay